“Ich sehe dich” – Biometrische Überwachung im Alltag

Es sind dystopische Szenen, die in manchen actionreichen Filmen eine bedeutende Rolle spielen: Zahlreiche private Aufnahmegeräte in Restaurants, Dutzende an Ampeln befestigte Straßenkameras, und zig 360°-Kameras an Straßenkreuzungen. Im Fokus solcher Filme ist beispielsweise ein Protagonist, der vor korrupten Polizeibeamten fliehen muss. Eine unmögliche Tat bei einer solchen biometrischen Überwachung. – Obwohl solch eine Allzeit-Beobachtung durch Kameras im öffentlichen Raum erst einmal nur eine fiktionale Szenerie darzustellen scheint, hat eine Untersuchung von Amnesty International ihre Realitätsnähe offenbart, die auch von anderen Organisationen Beachtung und Kritik findet.

Machen wir einen Abstecher nach New York City, der Weltstadt an der Ostküste der Vereinigten Staaten: Die Kreuzungen der Stadteile Manhattan, Bronx und Brooklyn machen dort fast die Hälfte der Kreuzungen in der gesamten Stadt aus. Und alleine in diesem Gebiet stehen der New Yorker Polizei (NYPD) mehr als 15.000 Kameras zur Verfügung, die zur Gesichtserkennung genutzt werden können. Aufgespürt wurden diese Kameras durch eine Untersuchung von Amnesty International im Mai 2021. Tausenden Freiwilligen wurden dabei Google Street View-Bilder gestellt, auf denen sie Kameras auf den New Yorker Kreuzungen kartografieren sollten, von denen manche hochaufgelöste Aufnahmen bis zu einer Entfernung von 200 Metern aufzeichnen können.1

Das NYPD behauptet, das Videomaterial nicht standardmäßig zur Erfassung von Personen zu nutzen2. Amnesty berichtet jedoch, dass das NYPD alleine im Jahr 2019 in 11.000 Fällen die Gesichtserkennungstechnologie eingesetzt haben soll1. Mutmaßlich soll beispielsweise auch bei den Protesten zu Black Lives Matter ein Demonstrant über das Kamera-Netzwerk identifiziert worden sein3. Nicht überraschend daher, dass die Non-Profit-Organisation die Nutzung der Gesichtserkennung als Bedrohung für die Menschenrechte ansieht und dabei inhaltlich auch von anderen Organisationen unterstützt wird:

  • In einem offenen Brief fordern unter anderem über 175 namhafte zivilgesellschaftliche Organisationen, Wissenschaftler und Aktivisten ein weltweites Verbot von biometrischer Überwachung im öffentlichen Raum. Zu der biometrischen Überwachung zählen die Verfasser alle Technologien, die anhand des Gesichtes, der Stimme, des persönlichen Auftretens oder anderer biometrischer Kennzeichen Identifikationen und somit eine gezielte Massenüberwachung ermöglichen. Im Brief kommt deutlich hervor, dass diese Technologien ein Risiko für die Menschenrechte darstellen, einschließlich der Rechte auf Privatsphäre und Datenschutz, sowie das Recht auf freie Meinungsäußerung und Versammlungsfreiheit.4
  • Auch in Europa wird die Kritik auf politischer Ebene laut: Der Europäische Datenschutzbeauftragte (EDPS) und der Europäische Datenschutzausschuss (EDPB) fordern in einer gemeinsamen Stellungnahme ein generelles Verbot des Einsatzes von künstlichen Intelligenzen zur automatisierten Erkennung menschlicher Merkmale in öffentlich zugänglichen Räumen.5 Andrea Jelinek, die Voritzende des EDPB, und Wojciech Wiewiórowski vom EDPS heben hervor:

“Der Einsatz von biometrischer Fernidentifikation in öffentlich zugänglichen Räumen bedeutet das Ende der Anonymität an diesen Orten.”

Andrea Jelinek & Wojciech Wiewiórowski (aus dem Englischen übersetzt) 5
  • Grundsätzlich will auch die Europäische Kommission “alle Arten biometrischer Fernidentifizierungssysteme” im öffentlichen Raum bis auf wenige Ausnahmen für die Zwecke der Strafverfolgung verbieten. Die Ausnahmen sieht die Kommission in Anwendungen, die “unbedingt erforderlich” sind, um potenzielle Opfer von Straftaten zu finden oder eine terroristische Bedrohung abzuwenden. Auch die Verfolgung schwerer Straftaten nach einem nötigen Beschluss einer zuständigen Justizbehörde soll möglich sein.6

Es lässt sich also festhalten, dass eine standardmäßige biometrische Überwachung im Alltag einen Angriff auf die Datenschutz- und Freiheitsrechte eines jeden Individuums darstellt. Entscheidend ist in dem Falle daher ein festgeschriebenes Verbot der generellen Überwachung – mit Ausnahme von juristisch festgelegten Suchen im Zuge von Strafverfolgungen. Und das am besten so schnell wie möglich.