Die Realität des Gläsernen Bürgers

George Orwell verdeutlichte schon in seinem Werk “1984” welche Gefahr von einem übermächtigen staatlichen Überwachungsapparat ausgeht. Die Entstehung eines daraus resultierenden Gläsernen Bürgers, also einer Person, deren Informationen alle bekannt sind, ist gerade in der heutigen Zeit allgegenwärtig.

Orwells Kritik am Staat als Überwachungsinstanz ist in unserem Zeitalter schon als rückständig zu bezeichnen. Obwohl Regierungen viele Informationen über ihre Bürger besitzen und auch immer mehr Zugriff auf Daten fordern (siehe z.B. Wiesner, 2021, S. 27) – gerade in Zeiten wie der Corona Pandemie – gibt es dominantere Überwachungsapparate, denen man Beachtung schenken muss. Zu diesen gehören die nichtstaatlichen (privatwirtschaftlichen) Akteure, die mithilfe der existenten Unmengen an technischen Möglichkeiten in die privatesten Lebensbereiche eindringen können (Mühlichen, 2018. S. 41).

“Unternehmen und nicht mehr die Staaten sind in den freien Demokratien der Welt die eigentliche Gefahr für den Datenschutz. Sie stellen die größte unmittelbare Herausforderung für den Datenschutz dar.”

Michael Sandel, 2016

Um sich wirtschaftlich behaupten zu können, versuchen Unternehmen immer mehr über ihre Kunden zu erfahren und ihr (Kauf-)Verhalten zu beeinflussen. Insbesondere Konzerne wie Google, Facebook, Apple, Amazon und Microsoft stellen sich im Zuge dieser Überwachung als dominierende Mächte mit einem weiten Wirkungsbereich heraus (Mühlichen, 2018. S. 42). Durch Verfahren wie “Microtargeting” werden durch sie und andere Unternehmen Benutzerprofile genau erforscht und gezielt Einflussnahmen organisiert (Wiesner, 2021, S. 75). Das US-Reiseunternehmen Orbitz bot beispielsweise durch Informationen über das genutzte Endgerät Apple-Nutzern teurere Hotelzimmer an, da diese Untersuchungen nach mehr bereit waren auszugeben als Windows-User (Wiesner, 2021, S. 72).

Mitunter das größte Problem stellt hier das Ungleichgewicht zwischen den Konzernen und Betroffenen dar, da diese “in der Regel keine Ahnung haben, welche Daten über sie gesammelt, geschweige denn, welche Schlüsse daraus gezogen wurden” (Wiesner, 2021, S. 38). Fitnessarmbänder können die Bewegungsdaten zum Beispiel nicht nur an das eigene Handy senden, sondern vielleicht auch unbemerkt an die Krankenkasse, die daraufhin die Vertragskonditionen anpassen kann (Wiesner, 2021, S. 56).

Wo Überwachung früher noch mit gesellschaftlichem Widerstand bekämpft wurde (wie z.B. bei der geplanten Volkszählung 1983 in Westdeutschland, siehe Mühlichen, 2018. S. 30), redet man sich heutzutage aus dem Ergreifen von Maßnahmen heraus. “Ich habe nichts zu verbergen” ist wohl die am meisten verbreitete Ausrede, warum Privatheit unwichtig sei (Wiesner, 2021, S. 45). Dazu gesellen sich Aussagen wie “Ich habe nichts Unrechtes getan, das ich verbergen muss”. Dies impliziert jedoch, dass Privatheit das Verbergen von Unrecht zum Ziel hat (Wiesner, 2021, S. 46).

Dem ist nicht so: Journalisten müssen ihre Quellen schützen können und Anwälte mithilfe einer sicheren Kommunikationsquelle ihre Klienten verteidigen (Wiesner, 2021, S. 77). Durch fehlende Angebote, die solch eine Datensicherheit gewährleisten, ist dies nicht möglich. Die Preisgabe von Informationen kann durch die Einflussnahme der jeweiligen Anbieter neben finanziellen Konsequenzen auch Risiken wie soziale Diskriminierung für uns bergen. Barbara Wiesner macht es als Professorin für Datensicherheitstechnik an einem Fall deutlich: “Ein Beispiel für eine solche Diskriminierung findet man bei Facebook und Instagram. Lange Zeit konnten dort Werbetreibende ihre Anzeigen auf bestimmte Nationalitäten oder kulturelle Hintergründe zuschneiden. Das führte dazu, dass in den USA Afroamerikaner und Hispanics von Anzeigen für Jobs und Wohnungen ausgeschlossen wurden” (Wiesner, 2021, S. 74).

Der Verhaltensforscher Robert Epstein belegt auch, dass Suchalgorithmen von Google mit wachsendem Einfluss die Gewinner von Wahlen bestimmen (Wiesner, 2021, S. 82). Somit hat die Überwachung durch Konzerne auch einen Einfluss auf der politischen Ebene, die in Demokratien allein den Bürgern überlassen sein muss. Da die Überwachung in Form der Datensammlung auf den ersten Blick keine Folgen für uns zu haben scheint, kann man bei dieser Art des Gläsernen Bürgers von einer “mangelnden Spürbarkeit von Überwachung” sprechen (Wiesner, 2021, S. 47).

Wir müssen uns im Klaren sein, dass der Gläserne Bürger schon existiert. Im Grunde gibt jeder Mensch, der das Internet nutzt, seine Daten weiter. Und es geschieht mehr mit unseren Daten, als wir begreifen möchten. Es gilt daher, “ein Bewusstsein für das Vorhandensein dieser Datensammlungen und deren Risiken zu schaffen” (Wiesner, 2021, S. 60). Zudem muss jetzt und zukünftig die Sicherheit von Angeboten fokussiert werden, um nicht die Möglichkeiten eines freien, demokratischen, selbstbestimmten Lebens zu unterminieren.

Quellen:

  • Mühlichen, A. (2018). Privatheit im Zeitalter vernetzter Systeme. Eine empirische Studie. Verlag Barbara Budrich.
  • Wiesner, B. (2021). Private Daten. Unsere Spuren in der digitalen Welt. Transcript Verlag.